06.10 2022

Italien – Die rechte Wende? Helfried Carl im Gespräch mit Lorenz Gallmetzer

Nach den Parlamentswahlen am 25. September wird mit Giorgia Meloni höchstwahrscheinlich erstmals eine Frau Regierungschefin Italiens. Ein längst fälliger Fortschritt aus Sicht der Gleichberechtigung. Doch die 45-jährige Politikerin aus bescheidenen Verhältnissen durchbricht nicht nur die Karriere-Glasdecke – sie bricht auch ein politisches Tabu: Ausgerechnet rund um den 100. Jahrestag des Marsches auf Rom und der Machtergreifung Benito Mussolinis will die Anführerin einer rechtsextremen Partei „ihre“ Regierung der geeinten Rechten bilden. Als Fünfzehnjährige in die Jugendorganisation des Mussolini verherrlichenden „Movimento Sociale Italiano“ eingetreten, nannte Meloni den „Duce“ auch noch als Berufspolitikerin „den besten Staatsmann, den Italien hatte“. Auch ihre Koalitionspartner Matteo Salvini und Silvio Berlusconi sehen antifaschistische Gedenk- und Feiertage als „Italien spaltende Überbleibsel der kommunistischen Linken“.

Trotz vieler Differenzen wollen Meloni, Salvini und Berlusconi eine extrem reaktionäre Gesellschafts- und Sozialpolitik durchsetzen, in der Wirtschaftspolitik eine Mischung aus neoliberalem Flat-Tax-Kahlschlag und einem national-souveränistisch-protektionistischen Staat. Demokratiepolitisch versprechen sie plebiszitär-populistische Reformen in Richtung illiberaler Präsidial-Republik.

Vorprogrammiert ist allerdings eine Zerreißprobe der neuen Regierung in der Außenpolitik. Salvini ist glühender Putin-Verfechter und Gegner der westlichen Ukraine-Politik. Berlusconi sieht im Aggressionskrieg Putins nicht mehr als einen „Fehler“ seines „engen Freundes“. Fanatiker und Hardliner aus dem Donez-Becken und im eigenen Land hätten Putin zur Invasion der Ukraine gedrängt, um Selenskys Regierung durch „anständige Menschen zu ersetzen“!

Meloni steht hingegen entschlossen zur Sanktions- und Unterstützungspolitik von NATO und EU. Bedenkt man, dass auch die 5-Sterne-Partei und radikale Linke massiv gegen die Anti-Putin-Sanktionen auftreten, könnte das schwankende Italien zur Schwächung der gesamten EU führen.

Vor seinem Sturz war Mario Draghi mit seiner stabilen und proeuropäischen Regierung von allen größeren Parteien außer Meloni länger unterstützt worden, als es die meisten BeobachterInnen für möglich gehalten hatten. Er bleibt weiter die populärste politische Figur Italiens. Womit ist dann diese erstaunliche Wende nach rechts im Land zu erklären?

***

Anmeldung hier erbeten! 

***

Lorenz Gallmetzer ist Journalist und Buchautor. In Südtirol geboren, studierte er Romanistik, Geschichte und Literatur in Wien und Mailand. Von 1981 bis 2011 arbeitete er für den ORF, u. a. als Auslandskorrespondent in Paris und Washington. Gallmetzer lebt als freier Publizist in Wien. 2019 erschien bei Kremayr&Scheriau sein Buch „Von Mussolini zu Salvini. Italien als Vorreiter des modernen Nationalpopulismus“.

Helfried Carl, Diplomat, ist Partner des 2019 von ihm mitbegründeten Innovation in Politics Institute in Wien. Von 2014-2019 war er Botschafter Österreichs in der Slowakischen Republik, davor, von 2008-2014, Büroleiter und außenpolitischer Berater von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer.

 

 

Kreisky Forum Wien
Beginn: 19:00
Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog Armbrustergasse 15 1190 Wien