Autorin im Interview: Jessica Lind

Was war der Impuls für deinen Roman?
Als Leserin mag ich es, mich auf unsicheres Terrain zu begeben. Wenn etwas Unerwartetes, Unheimliches in die vermeintliche Realität einbricht. Der Moment, wenn die Schwangere das Kind auf der Lichtung findet, war als Erstes da. Davon ausgehend habe ich die Geschichte entwickelt.

Was interessiert dich am Thema Mutterschaft?
Ursprünglich war es ein körperliches Interesse. Wie verändert sich der Körper einer Frau während der Schwangerschaft? Dass etwas in einem wächst, das sich der eigenen Kontrolle entzieht, hat etwas sehr Unheimliches. Fast schon eine Art Body-Horror. Das war der Ausgangspunkt. In der Auseinandersetzung mit dem Thema ist für mich dann die gesellschaftliche Komponente immer wichtiger geworden. Der Druck, als Mutter und Frau Erwartungshaltungen gerecht zu werden, erscheint mir sehr groß. Jetzt spielt mein Roman ausschließlich im Wald. Es ist also nicht leicht, dieses Außen mitzuerzählen. Ich habe mich dazu entschieden, die Gesellschaft in meine Hauptfigur einzuschreiben, schließlich sind wir alle ein Produkt unseres Umfelds und am schlimmsten sind die Stimmen in unseren eigenen Köpfen. Um diese vielen unterschiedlichen Stimmen abzubilden, ändert sich Amiras Haltung zur Mutterschaft in jedem Teil und jeweils eine andere Angst rückt in den Fokus.

Woher kommt die Faszination für den Wald? Was macht ihn so besonders als Schauplatz?
Ich bin in einem Dorf am Land aufgewachsen. Der Wald war nie weit. Er war unser Spielplatz, der Ort für Mutproben. Mich fasziniert, dass ich mich noch immer gleichzeitig aufgehoben und bedroht fühle, wenn ich im Wald bin.

Wie entwickelst du deine Figuren?
Im russischen Theater gibt es eine Schauspieltechnik, die von Wsewolod Meyerhold entwickelt wurde. Anders als beim Method Acting, wo man sich an eigene Erfahrungen erinnert und so über das Ich in die Figur findet, gibt es bei der Meyerhold-Methode bestimmte Bewegungsabläufe, die man vollführt, um so über das Außen ins Innen, zur Emotion zu gelangen. Aus der Versuchsanordnung: Mutter – Vater – Kind im Wald habe ich die Figuren entwickelt. Dabei stand ihre Funktion mehr im Vordergrund als ihre Biographie. Sie sind Archetypen. Wir erfahren sehr wenig über das Leben der Figuren außerhalb des Waldes. Es gibt auch kaum Beschreibungen über ihr Aussehen. Sie offenbaren sich vielmehr über ihre Handlungen, die nicht durch ihre Biographie motiviert sind, sondern situativ aus ihrem Archetypus entstehen. Ich befürchte, das klingt jetzt in der Theorie schrecklich mechanisch, ist es aber in der Praxis überhaupt nicht. Diese Herangehensweise hat es mir ermöglicht, mit den Figuren immer sehr im Moment, in der konkreten Situation zu bleiben, weil es ja kaum Referenzen auf die Welt außerhalb des Waldes gibt. So können die Figuren immer sehr unmittelbar handeln. Und es entsteht eine ähnliche Energie wie im Meyerhold’schen Theater.

Du bist ja während der Entstehungsphase deines Buchs selbst Mutter geworden. Inwiefern hat das dein Schreiben beeinflusst?
Sagen wir mal so, die Arbeit an dem Buch hat zur richtigen Zeit in meinem Leben stattgefunden. Ich habe damit angefangen, als ich noch kein Kind hatte und auch nicht geplant habe, bald schwanger zu werden. Dadurch konnte ich meine Vorstellung davon, Mutter zu werden, ohne den Ballast eigener Erfahrungen imaginieren. Gerade im ersten Teil geht es ja auch stark um die Erwartung, dass man es selbst ganz anders machen wird als der Rest der Welt. In dieser Zeit habe ich die Dramaturgie der Erzählung entwickelt und eine erste Fassung geschrieben, der es aber an Lebendigkeit gefehlt hat. Die „Recherche“, ein Kind zu bekommen, hat den Roman um einiges sinnlicher und auch dringlicher für mich werden lassen.

Hattest du Schreibkrisen? Falls ja, wie hast du sie gemeistert?
Beim Schreiben bin ich eigentlich relativ diszipliniert. Solange ich eine Deadline habe, kann ich relativ gut arbeiten. Ich habe aber lange nach den richtigen Verbündeten für diesen Roman gesucht und bin da durch einige Krisen geschlittert. Mir bedeutet die Geschichte viel und trotz einiger Rückschläge konnte ich sie über viele Jahre nicht loslassen. Ich glaube, sie ist von ihrer Dramaturgie her sehr speziell und lässt sich nicht leicht in eine Schublade stecken. Aber genau so etwas begeistert mich beim Lesen. Bei Kremayr & Scheriau habe ich das Gefühl, einen Verlag gefunden zu haben, der genau das ebenso toll daran findet wie ich.

Wie unterscheidet sich das Romanschreiben vom Drehbuchschreiben?
Sowohl bei Drehbuch als auch bei Prosa entwickle ich Figuren, beschäftige mich mit dem Thema, entwickle einen Handlungsbogen. Aber Drehbücher sind Vorstufen zu Filmen. Insofern sind sie Gebrauchstexte, die rein formal so geschrieben werden müssen, dass sie verstanden werden. Oberbeleuchter*innen haben wenig Interesse daran, ellenlange Beschreibungen zu lesen. Jedes Filmdepartment arbeitet mit dem Text. Sich auf das Wesentliche zu beschränken und trotzdem eine Stimmung zu erzeugen, ist eine Herausforderung und eine gute Schule. Aber es macht nicht viel Spaß, Drehbücher zu lesen. Drehbücher beschreiben ausschließlich Bilder, die dann durch die konkrete Auswahl von Schauspieler*innen, Farben, Musik, Kameraperspektive, Schnitt, und, und, und zum Leben erweckt werden. In der Literatur ist es die Wahl der Worte, die diesen Vorgang im Kopf der Leser*innen in Gang setzt. Es gibt mehr Platz für Leerstellen im Oberflächlichen, dafür kann man in die Gedanken der Figuren eintauchen. Jedes Medium hat seine besonderen Herausforderungen. Mir macht es sehr viel Spaß, in beiden Formen zu arbeiten und die Arbeit befruchtet sich gegenseitig. Ich mag kurze Sätze und einprägsame, klare Bilder.

Vielen Dank für das Interview!